Der Stockholmer Sänger Alex Svenson der Post-Punk-Band „Then Comes Silence“, fegt mit einer gewissen Coolness über die neue Open- Air-Stage. An seiner Seite die Gitarristen Hugo Zombie und Mattias Ruejas Jonson, unterstützt von Drummer Jonas Fransson. Es ist Sonntagmittag, 07. August 2022, kurz nach 12 Uhr und wir sind auf dem Gothic-Festival schlechthin: Dem M’era Luna am Fluplatz in Hildesheim. Der erste Festivaltag steckt uns noch in den Knochen.
Die düstere Art und die rhythmischen Bewegungen der Schweden haben es uns angetan. Im strahlenden Sonnenschein wollen wir mit dabei sein. Bald geht es für die Jungs auf US-Tour, aber dieser Auftritt ist etwas ganz besonders. So, wie Alex` weißes Outfit. Schnell füllt sich der Bereich vor der Bühne. Der „Insider“-Floor ist umgezogen, vom Hangar nach draußen. Nach zwei Pandemie-Jahren eine Wohltat, endlich zurück zu sein und an der frischen Luft einigermaßen coronakonform zu feiern.
Kommando zurück auf Samstagmittag: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich´s sein“ – M. Maniatis nach J.W. Von Goethe, das ist das Gefühl für so viele. Auf dem M’era Luna wird Diversität seit über zwanzig Jahren Raum gegeben. Und das nicht nur auf sexueller Hinsicht, es geht darum, sich in einem geschützen Rahmen auszuleben und so zu sein, wie es Vielen der Alltag leider oft nicht ermöglicht. Bereits seit gestern konnten die Zelte aufgeschlagen und in der Disko in den ersten Festivaltag reingefeiert werden.
Der Sensenmann begrüßt die Besucher traditionell im Teich am Eingang. Ja, dieses Bild kennen wir und für einen kurzen Moment ist es so, nie weggewesen zu sein. Das Musikmagazin Sonic Seducer hat einen neuen Platz am Eingang der Mainstage und sich vergrößert. Hier befindet sich das Meet & Greet der Szene bei den Autogrammstunden.
Es ist 13.40 Uhr und eine Neue-Deutsche-Härte-Band entert die Mainstage. Grüner Nebel steigt empor, dabei kann es sich nur um Schattenmann handeln! Von Anfang bis Ende ist der Nachholbedarf bei den Franken und Fans zu spüren, ausgehungert performen Sänger Frank Herzig, Gitarrist Jan Suk, Bassist Luke Shook und Nils Kinzig an den Drums mit spektakulärer Feuershow. „Leute, habt mehr Sex!“, mit einem Augenzwinkern und in Hinblick auf die aktuelle politische Situation wird dazu aufgerufen, mehr Liebe zu machen.
Die Musik ist der wichtigste Bestandteil des Events, aber hier passiert so viel mehr. Schwarze Luftballons steigen gen Himmel und wir blicken auf das diesjährige Plakat: Ein zartes Mädchen im hellen Kleid hat ihr Schaukelpferd verlassen und geht los…
Auch für uns gibt es noch so viel zu entdecken: Einmal am Rad drehen bei Killstar, der Fashionmarke für „Occult Luxery“ und Give-Aways, wie Patches, Beutel und mehr abstauben. Es geht aber nicht nur ums Konsumieren. Die Schwarze Szene ist dafür bekannt, über den Tellerrand hinauszuschauen und sich mit ernsten Lebensthemen auseinanderzusetzen. Wir begrüßen die diversen Aktionsstände u.a. mit Festivalbändchen mit Aussagekraft gegen eine kleine Spende, wie „Kein Bock auf Nazis“ oder „Love One – Love All“ der Tierrechtsorganisation PETA Zwei.
Arte Concert überträgt, neben den Lokalsendern, die Gigs für alle Daheimgebliebenen und als Erinnerung, zeitversetzt. Auf dem Bus der Arte Summer Tour gibt es einen spektakulären Blick über das gesamte Gelände. Um hier Zutritt zu erlangen müssen knifflige Fragen zum Sender beantwortet werden. Als Andenken wird ein Polaroidbild vom Fotoshooting mit E-Gitarre ausgehändigt.
Wie gewohnt wählen wir aus einer ordentlichen Essens- und Getränkeauswahl, mit der Neuerung teilweise mit Kreditkarte zu bezahlen. Die Preise wurden insgesamt ordentlich angezogen, aber nicht anders, als woanders. Hingucker sind „Mummus und Lümmels“ am Stil beim Vulva & Penis-Waffelstand und das Schwarze Eis.
Für die Besucher steht auf dem kompletten Festival gratis Trinkwasser zur Verfügung. Viele Menschen träumen noch davon. Für „Wasser für alle“ setzt sich die gemeinnützige Organisation Viva Con Agua seit Jahren ein. Es ist ein heikles Thema, noch immer haben 489 Mio. Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Mit Märschen durch die Masse wird dazu aufgerufen, den Pfand in die Tonnen zu werfen. Beim Gang auf die Komposttoiletten „Goldeimer“ werden mit dem eingenommenen Geld sanitäre Anlagen in Drittländern aufgebaut. Diese Thematik greift Lord Of The Lost– Sänger Chris Harms auf und bittet um Becherspenden. An diesem warmen Tag ist das klassische Ensemble eine willkommene Abwechslung, so zart hört man die Globalplayer nicht oft, war die Dark-Rock-Band erst die Vorgruppe von Iron Maiden in 16 Ländern auf 18 Konzerten.
Es ist eine gute Idee von Alpin, spezielle Musik-Ohrenstöpsel anzubieten. Des einen Freud, ist es anderen Leid, so oder so ähnlich kann man den Auftritt von Blutengel beschreiben. Für die einen ist Sänger Chris Pohl der „Michael Wendler der Gothic-Szene“, für die anderen großes Vorbild und Idol. Fakt ist, dass Blutengel wieder eine sexy Show bieten mit diversen Gegensätzen von Engel und Teufel, die kunstblutüberströmten Tänzerinnen geben alles und supporten ihn als Meister.
Unser musikalisches Highlight war wie erwartet Nizzer Ebb und so tanzen wir dem zweiten Festivaltag entgegen, an dem es mit weiteren Klassik-Einlagen weitergeht.
VNV Nations Gig ist outstanding und berührt die Anwesenden tief. Da kullert auch schon mal das eine oder andere Tränchen. Momente, die man selbst erlebt haben muss! Somit schließen wir die Berichterstattung über die Bands und regen dringend dazu an, das Smartphone öfters mal in der Tasche zu lassen und sich selbst einen Einblick zu machen. Neben einem der größten Mittelaltermärkte Europas lockt auch immer wieder die M’era Luna Academy und viel, viel mehr.
Seid nächstes Mal dabei, wenn 25.000 Menschen friedlich ihr Universum auf der „anderen Seite“ besuchen. Wir fühlen uns bei FKP Scorpio in den besten Händen!
Die Termine 2023: Plage Noire 28. – 29. April und M’era Luna 12. – 13. August
Sonnenfrau
Fotogalerie: https://flic.kr/s/aHBqjA2N9s