Dunkel, schwarz und düster – diese Komponenten ziehen die 25.000 M’era Luna-Anhänger aus der ganzen Welt frühzeitig zum zweiten August-Wochenende ins eher beschauliche Hildesheim. Denn am Flughafen Drispenstedt passiert einmal im Jahr etwas Mystisches, Magisches und diese Sprache verstehen nur diejenigen, die sich von dieser besonderen Musik angezogen fühlen und sich mit Gleichgesinnten verbinden wollen.
Es ist Samstagnachmittag, 12.08.2023 und ein kräftiger Regenschauer zieht über das Infield. Wir haben uns untergestellt, riechen den warmen Sommerregen, hören die Sounds der verschiedenen Bereiche und halten kurz inne. Ja, es ist wieder soweit, das größte Gothic-Festival ist im vollen Gang und wir mittendrin! Die ersten Gäste reisten früh an, um die besten Plätze auf dem Campingplatz zu sichern und Freitagabend, pünktlich zum Sonnenuntergang, durchzustarten. Ob bei Tanz auf dem (Mittelalter-) Markt, den diversen Lesungen im Hangar, den Talk mit Stephan Thanscheidt von FKP Scorpio und Lord Of The Lost-Head Chris Harms, die erste Nacht endete in der Disco und anschließend im Bett, ob im Zelt, Camper, Gothic Garden oder Hotel.
So unterschiedlich die Bedürfnisse sind, so viele Möglichkeiten gibt es, sich sein persönliches Festivalerlebnis zusammenzustellen. Der Veranstalter sorgt für bestmögliche Barrierefreiheit.
Unser Highlight hatten wir bereits ab 13.15 Uhr, als schwarze & blonde, langhaarige Mähnen die zweite Stage enterten: Wisborg. Vier Jungs mit einem gewissen Charme, jenseits der Kommerzschiene. Diese Attitüde catchte und war uns insgesamt zu wenig vertreten. Genau so, wie wir immer noch dem alten Hangar, anstatt dem weiteren Open-Air-Floor, hinterhertrauern. Ja, ja, die „gute alte Zeit“. Eine Leier, die wir nicht zu sehr mit Leben füllen wollen. Dafür ist die Dankbarkeit viel zu groß, nach der Corona-Krise, ein solches Festival wieder erleben zu dürfen. Die Energiekrise hinterlässt auch hier ihre Spuren und zwingt alle dazu, wesentlich tiefer in die Tasche zu greifen. Aber speziell die gastronomischen Angebote und die Getränkepreise waren jenseits von Gut und Böse. Glücklicherweise gab es nach wie vor gratis Trinkwasser. Weitere Aktionen, bei denen weiter gedacht wurde: Die Foodsharing-Möglichkeit, das Müllkonzept und der Awarness-Code „Panama“, um für eine höchstmögliche Sicherheit zu sorgen. Auch das Styling-Zelt mit dem Make-Up-Workshop ist nicht selbstverständlich. Gerne mehr Schritte in diese Richtung!
Das M’era Luna steht für „Sehen und Gesehenwerden“. Sich zeigen in seiner Pracht. Nein, das sind keine Kostüme, sondern ist eine Lebenseinstellung und eine Plattform, um sich mit anderen auszutauschen und sich selbst zu präsentieren. Nicht nur einer Modenschau zuzuschauen, sondern ein Teil davon zu sein, im Real Life, anstatt Social Media. Das Smartphone konnte man getrost in der Tasche lassen. Bis auf ein paar Erinnerungsbilder zu schießen, war es für Verabredungen nicht zu gebrauchen. Über Stunden funktionierte an beiden Tagen der Empfang nicht. Für die einen das große Manko, für die anderen eine willkommene Möglichkeit, den Moment zu genießen. Die festivaleigene App war dann wohl eher für die Zeit davor oder danach gedacht.
Zurück zum Hauptbestandteil: Die Schwarze Musik in allen Facetten. Das diesjährige M’era Luna-Maskottchen mit seinen sechs Armen zeigt die Vielfältigkeit der Musikstile. Gothic-Dark-Rock, Neue Deutsche Härte, Metal, Elektro-Industrial, Mittelalter, Synthie-Pop, uvm. Verständlicherweise wird beim Line-Up auf die großen Namen gesetzt, die leider schon mehr als bekannt sind, aber dafür sorgen, dass so ein Festival überhaupt auf die Beine gestellt werden kann. So ist es für Newcomer oft schwer, sich durchzusetzen oder die alten Hasen sind zu undergroundig für die breite Masse.
Vom arte concert Wagen hoch hinaus verfolgen wir den Auftritt von Joachim Witt, der ein gutes Beispiel eines Künstlers einer bewegten Vergangenheit ist, der sich bis ins hohe Alter weiterentwickelt und neu erfindet. Der Mix aus alt und neu macht es aus!
Wolken mit Regenschauern ziehen auf, als wir bei Solar Fake erneut Unterschlupf unter dem riesigen, weißen Zeltdach suchen. Jetzt fehlte nur noch, dass Sänger Sven Friedrich „Be My Rain“ anstimmt, für eine mehr als kuschelige und absolut authentische Zeraphine-Stimmung.
Den Held unserer Jugend und Überbleibsel der Gruppe HIM, Ville Valo, kurz VV, macht den Abschluss auf der Open-Air-Stage. Alle können ihn miterleben, im Gegensatz zu den Jahren zuvor, fährt der letzte Shuttle-Bus erst um ein Uhr. Eine große Verbesserung!
Der Sonntag entpuppt sich als der Festivaltag: vom Regen ins Sonnenlicht. Um die Zeit, in der andere sonntags vom Gottesdienst kommen, bahnt sich der M’era Luna-Gänger den Weg auf das Gelände. Lydia Benecke hält bereits einen Vortrag im Disco Hangar. Um 12.55 Uhr finden wir uns bei She Hates Emotions wieder. Das ist doch Chris Pohl von Blutengel, bzw. sein zweites Ego, unter dessen Pseudonym er mit gleichem Gesang und Attitüde polarisiert.
Zeitgleich machen Gothminister auf der Mainstage nebenan die letzten müden Gemüter hellwach mit hartem Metal und einer Portion schwarzem Humor. Vielen steckt der erste Festivaltag noch im Knochengerüst und chillen auf mitgebrachten Handtüchern.
Traditionell sorgt Sonic Seducer wieder für einen großen Andrang am Stand. Neben den aktuellen Ausgaben und diversen Merchandiseartikeln tummeln sich dort die Stars der Szene und es bilden sich lange, tumulthafte Schlangen, um ein Autogramm vom Lieblingskünstler zu ergattern.
Unser Gipfel sind The 69 Eyes. Für solche Bands, die bereits seit 1989 auf der Bühne stehen und eine Dark-Rock-Institution sind, darf keiner in den vorderen Reihen sitzen bleiben. Oft ist es für die Künstler nicht einfach, das spezielle Publikum zum Abgehen zu bewegen, aber hier geht es nicht anderes. Rock on!
Man soll ja bekanntlich aufhören, wenn es am Schönsten ist, also ab geht es für den perfekten Ausklang bei Peter Heppners sanftem und eindringlichem Gesang.
Die nächsten Termine aus dem Hause FKP Scorpio für nächstes Jahr:
Plage Noire verschoben auf November: 29. – 30.11.2024 und M’era Luna 10. – 11.08.2024.
Sonnenfrau
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